Geschichte

Der Geier - bequemes Superschiff der 50er Jahre

Heutzutage kennt kaum noch jemand das Segelflugzeug Geier, die einzige Konstruktion des Allgäuer Schreinermeisters Josef Allgaier. Der große Holzsegler mit fast 18 Metern Spannweite, den langen, schlanken Flügeln und dem mächtigen Holzrumpf war bis weit in die Sechzigerjahre auf Wettbewerben erfolgreich und behauptete sich noch lange gegen die aufkommende Kunststoff-Konkurrenz. Der Geier hatte für die damalige Zeit ein ungewöhnlich geräumiges, bequemes Cockpit mit einer großen Panoramahaube und ist trotz seiner Spannweite sehr wendig.

Allgaier hatte 1951 in seiner Schreinerwerkstatt in Kempten das erste im Nachkriegsdeutschland gebaute Grunau Baby gefertigt und danach für Scheibe Teile für die Spatzen und die Mü-13 mit bis zu 12 Mitarbeitern hergestellt. Als die Aufträge von Scheibe nachließen, beschloss Allgaier, ein eigenes Segelflugzeug zu konstruieren und zu fertigen. Es sollte ein Hochleistungssegler werden, der von Anfang an auch als Bausatz für Vereine konzipiert war. Die Flächenprofile (Göttinger 549) lehnte Allgaier an die erfolgreichen Leistungssegler seiner Zeit, die Weihe und den Zugvogel an. Bei der Flugerprobung war Hans Zacher von den guten Flugeigenschaften des Prototypen, "der von einem Schreiner konstruiert wurde", sehr beeindruckt.

Einer der Bausätze dieses später Geier I genannten Segelflugzeugs ging an die LSG Kempten im Allgäu. Dieser ging 1979 nach England, wo er mehrfach den Besitzer wechselte. Im September 1996 hob er dort zum letzten Mal ab und wartete danach in verschiedenen Scheunen auf die notwendige Grundüberholung. Im Herbst 2009 holte Erwin Seibold mit seinem Enkel ihn zurück an seinen Geburtsort, sehr zur Freude des Konstrukteurs.

Kaum hatte 1955 der Prototyp des Geier I abgehoben, entschloss sich Allgaier, seinen Entwurf durch die Verwendung des neuen Laminarprofils NACA 633-618, das auch in der Ka 6 zum Einsatz kam, leistungsmäßig zu verbessern. Die Spannweite blieb bei 17,76 Metern - der Flügel wurde aber deutlich schlanker (Streckung: 22,53). Der 8,2 Meter lange, mächtige Holzrumpf blieb unverändert. Der Prototyp des Geier II wurde in nur zwei Monaten gebaut und hatte im Juni 1956 seinen Erstflug in Unterwössen, von wo er direkt zur WM nach Frankreich ging.

Die Geierfertigung wechselte Ende der 50er Jahre zur Firma Rock in Inzell (Oberbayern), die über keinerlei Erfahrungen im Flugzeugbau verfügte. Dort wurden bis 1965 insgesamt vermutlich 13 Geier IIB gefertigt, die eine voll eingestrakte Haube, vergrößerte Querruder, Torpedozapfen an den Außenflächen und ein festes bremsbares Rad bekamen. Durch einen Rechenfehler war die Schwerpunktbestimmung der Geier IIB fehlerhaft, was in den Folgejahren zu mehreren schweren Trudelunfällen führte. Im März 1973 wurden deshalb alle Geier IIB gesperrt - im Februar 1974 erschien die LTA 74-16 Rock. Mit ausreichend Blei in der Nase (Rüstgewicht jetzt 285 kg) wurden sie wieder uneingeschränkt lufttüchtig. Leider hängt dem Geier deswegen ein ausgesprochen schlechter Ruf - trotz sehr angenehmer Flugeigenschaften - an und das ungewöhnliche Segelflugzeug geriet in Vergessenheit.

Im April 2008 tauchte plötzlich wieder ein Geier, die D-5828, in den Startlisten bei dezentralen Wettbewerben auf. Dieses Flugzeugs verfügt über eine absolut vollständige Dokumentation, so dass sein gesamter Lebenslauf im Detail nachvollziehbar ist. Ende der achtziger Jahre wurde er von der Akaflieg Erlangen bei Eichelsdörfer grundüberholt und erhielt dabei seine auffällige kanariengelbe Lackierung und den grimmig dreinblickenden Geier auf dem Seitenruder. Nach knapp 1.200 Flugstunden in 1050 Starts befindet sich die D-5828, stationiert in Nastätten im Westtaunus, immer noch in einem guten Zustand und wird von alten und jungen Piloten sehr gerne geflogen.

Der Gründer und langjährige Vorsitzende des Vintage Glider Clubs, Chris Wills, schrieb über den Geier I: "Um erfolgreich zu sein in der Konstruktion und dem Bau von Segelflugzeugen braucht es drei Dinge: Viel Geld für den Bau und die Erprobung des Prototypen, einen bekannten Namen in Pilotenkreisen sowie erfolgreiche Wettbewerbspiloten, die mit dem Prototypen an die Spitze fliegen. Keines davon hatte Allgaier, der in kürzester Zeit, voller Idealismus, mit harter Arbeit die beiden Prototypen konstruierte, baute und in die Luft brachte."

Damit dieses ungewöhnliche Segelflugzeug nicht ganz in Vergessenheit gerät, ist für das erste Maiwochenende 2015 ein Geiertreffen auf dem Flugplatz in Kempten/Allgäu geplant, zu dem die früheren und heutigen Eigner und Piloten dieses schönen Holzflugzeugs sowie alle Interessierten herzlich eingeladen sind.